ich nenn euch jetzt einfach mal so, wegen der Vorurteile und so. Ich schicke aber eines gleich vorweg: Es gibt euch millionenfach auch mit anderen Hautfarben, mit anderen Sprachen, komischen Kopfbedeckungen und lustigen Namen wie Sahra-Lena Schulze-Schnödeltrööt oder Finn-Torben-Luca Schmidt.
Ich hatte heute einen für mich recht anstrengenden Tag, hab nachts nicht schlafen können wegen eines meiner Gebrechen, war ab 5.30h wach, war um 10.00h bei der Ergotherapie, um 11.00h beim Augenarzt, um mich für die Spritze von vorgestern zu bedanken, kurz zurück nach Hause, dann mit dem Bus zum Bahnhof, Bus ist verspätet, Bahn in die Nachbarstadt verpasst, dreiviertel Stunde zu spät beim Facharzt, die sonst wirklich tolle und wunderbare MTA (früher sagte man Arzthelferin) hatte einen ganz schwarzen Tag und ich mußte genervt und besudelt den Rückweg antreten.
Der Zug zurück stand nach wenigen Minuten schon abfahrbereit am Gleis- läuft, denk ich noch. Dann, in der letzten Sekunde, kommt ihr in den Zug gestürmt, gezaubert, gestolpert? Drei Kinderwagen, vier Kinder, ein Handy mit einer Mutter dran. Mit dem Handy kann und wird sie aber nicht ihre Kinder steuern, weder per w-lan, noch Bluetooth oder Smart-Home. Sie telefoniert. Wahrscheinlich mit ihrer besten Freundin. Die Kinder sind, noch bevor der Zug losrollt, mit Feuereifer damit beschäftigt, den ganzen Wagen zum Abenteuerspielplatz zu erklären und den Gang in fünf Minuten und 25 Sekunden 2,5 km weit abzulaufen. Ich denke an meinen Rollator und beiße in die Tischkante am Fenster. Der Neid der Besitzlosen.
Im Horoskop auf meinem Zuckertütchen heute morgen stand irgendwas von „Ihre Geduld und Toleranz ist heute gefragt“ Ab morgen nehm ich Süßstoff! Während mein Blutdruck in ungeahnte Höhen steigt, mein Pazifismus und mein Egoismus über die richtige Wahl der Waffen streiten, erschrecke ich über mich selbst. In Sekundenbruchteilen rauschen tausende Vorurteile durch mein Hirn.
Da steht plötzlich das kleine Mädchen, vielleicht vier Jahre alt vor mir, lacht mich an und erzählt mir einen Witz in einer Sprache, die ich nicht verstehe, um dann sofort wieder mit ohrenbetäubendem Lärm ihre Brüder am anderen Ende des Zuges zu ärgern.
Jetzt spüre ich meine Gesichtsmuskulatur arbeiten, ich kann mir ein breites Grinsen nicht verkneifen.
Leider ist nach zwanzig Minuten die Fahrt schon zu Ende, ich wäre gerne mit euch noch weiter gefahren. Ihr habt mir einfach nur gezeigt, was Leben ist und Leben sein kann, manchmal eben wild und laut.
Endbahnhof: Wir steigen alle aus und auf dem Bahnsteig steht eine Mutter mit einem Kinderwagen in der einen Hand und einem Handy in der anderen und begrüßt euch überschwänglich und herzlich… Danke!