Fast hätte ich geschrieben „war hell“, aber das würde bedingen, daß ich den Tod schon hinter mir hab. Hab ich aber nicht. Noch nicht mal das Leben, das hab ich noch vor mir. Und das ist auch ganz gut so, sonst hätte ich mit Sicherheit jetzt größere Probleme meinen Tee zu trinken und meine wirren Gedanken über eine Tastatur auf dem Bildschirm sichtbar zu machen.
Mich beschäftigt die Zeit, in der ich nicht so ganz anwesend war. Nicht daß ich darunter leide, ganz im Gegenteil. In der Zeit habe ich mehr über das Leben und mich erfahren, als in den siebenundvierzig Jahren davor. Nie war ich glücklicher und dankbarer Leben zu dürfen als jetzt. Aber warum durfte ich das alles er-leben, warum durfte ich es über-leben?
Stell dir vor, du bist Atheist und du stellst plötzlich fest: Es gibt keinen Gott! Du bist vollgepumpt mit Drogen, liegst im Koma irgendwo zwischen hier und weg, nicht wirklich lebendig auf einem Kühlkissen bei 33° frisch gehalten, aber noch nicht klinisch tot. Die Drogen fangen an, ihre ganze Wirkung zu entfalten und du kriegst einen Trip. Vielleicht ist es auch keiner, du weißt es nicht. Es kann genauso gut sein, daß du tot bist. Also mach ich das kostenlose Probetraining mit.
Ich bin allein. Kein Mensch hier. Kein Gott. Kein Messias. Kein Prophet. Kein Leibhaftiger. Kein Engel. Kein Tunnel und schon gar kein Licht am Ende. Aber es ist hell, da wo ich jetzt bin. Es ist nicht grell, es tut nicht weh, ein angenehmes helles und warmes Licht. Es ist eigentlich gar kein Licht, wie ich es bis heute gekannt hab, es ist Teil des Zustands, in dem ich mich befinde. Der Zustand fühlt sich gut an. Obwohl ich nichts fühle. Keine Kälte, keine Wärme, keine Schmerzen.
Es ist still. Sehr still. Aber nicht totenstill, keine Stille die mir Angst macht. In dem Augenblick fällt mir auf, daß ich überhaupt keine Angst spüre. Warum auch, denk ich so für mich. Es ist schön hier. Ich hab auch keinen Hunger, ich muß überhaupt nicht über irgendetwas nachdenken. Ich kann einfach nur sein.
Ich fühle mich auch nicht allein, habe auch nicht das Bedürfnis nach jemanden zu rufen. Ganz davon abgesehen, daß es diese wunderbare Ruhe zerstören würde. Gott, der du nicht da bist, weil es dich nicht gibt- ist das schön hier! Ich bleibe! Das ist der Frieden, nach dem alle suchen, genau so sieht er aus, riecht er, schmeckt er, fühlt er sich an. Kurz habe ich das Bild eines Embryos im Mutterleib, hell und freundlich, leise und warm. Sicher.
Das Leben scheint einen anderen Plan für mich zu haben. Ich muß diesen Ort wieder verlassen. Dahin zurück wo man behauptet, es sei das Diesseits. Ich sehe nicht an der Zimmerdecke schwebend zu, wie ich in meinen Körper zurück kehre. Ich schlafe einfach noch eine ganze Weile weiter und wache dann tatsächlich wieder auf! Kein Wecker, der mich hochschrecken lässt, sondern ganz langsam und sanft. Die Ärzte reduzieren nach und nach die Drogen, das Wiederkommen tut nicht weh. Eine sanfte Geburt.
Es dauert noch etliche Tage und Wochen, bis ich einigermaßen bei klarem Verstand bin. Auch ein Jahr danach erscheint immer noch vieles unwirklich. Aber ich bin wieder da. Und wie. Natürlich werde ich irgendwann sterben. Aber ich weiß jetzt, wie es sich anfühlt und wo ich hinkomme. Ich habe keine Angst davor. Ich freue mich irrsinnig auf das Leben. Aber auch auf das, was danach kommt.
Mein Handtuch liegt schon auf der Liege am Pool …